Vor dem „Empfangszentrum“ für Asylsuchende spricht Uwe Moor von der Kreuzlinger Initiative „Fremde und wir“ über die Zusammenhänge zwischen Krieg, Flucht und einer weltweit fehlenden sozialen Gerechtigkeit. Seine Rede im Wortlaut.

 

Von Uwe Moor

Meine Damen und Herren,

Sie stehen hier vor der Eingangstüre der sogenannten Empfangsstelle des Bundesamtes für Migration. Solche Empfangsstellen existieren auch in Vallorbe, Chiasso und Basel.

Diese Eingangstüre ist für die Ankommenden die Türe zur Hoffnung nach einer für die meisten sehr schwierigen Reise von ihrem Ursprungsland in das Land des sozialen Wohlstandes, des Friedens und der Humanität. Sind sie doch jetzt in dem Land in dem das „Rote Kreuz“ geschaffen wurde, das weltweit diese Werte vertritt. Sie sind in einem Land angekommen, das die Schrecklichkeiten eines Krieges seit 1847 nie mehr direkt erleben musste. So sagte ein aus dem Irak Angekommener zu mir: „Wer die Schrecklichkeiten eines Krieges nicht selbst erlebt hat, weiss nicht was Krieg bedeutet“.

Aber es wird für diese Ankommenden immer schwieriger, dass ihre Hoffnung auf Sicherheit und Frieden hinter diesen Türen in Erfüllung geht. Dass sie hier, wie auf ihrer Reise eher als Störe-friede angesehen werden, mussten die meisten bereits mehrfach erfahren. Dies ein Resultat der Tatsache, dass die EU-Aussen-grenzen immer besser und genauer abgeriegelt werden. Man versucht sogar mit militärischen Mitteln und Gewalt diese unerwünschten Menschen von Europa fernzuhalten.

So wird versucht, afrikanische Flüchtlinge daran zu hindern, via die Kanarischen Inseln nach Europa zu gelangen. Dieser Flucht-weg über die Inseln wird aber immer häufiger gewählt, da die spanischen Enklaven Ceuta und Mellila mit Hilfe Marokkos immer stärker abgeriegelt werden.

Trotz des immensen Einsatzes und Anwendung von recht frag-würdigen Mitteln, wie die Ausschaffung von Flüchtlingen in Länder, die sie womöglich auf ihrer Reise gar nicht passiert haben, vermag Europa die Immigration nicht zu verhindern.

Zwar werden pro Jahr fast 4‘000 Menschen auf hoher See aufgegriffen und nach Afrika zurückgeschafft. In der gleichen Zeit gelangen aber rund 31‘000 Menschen via die Kanaren nach Europa.

Geschätzte 6‘000 kommen auf dem Weg ums Leben.

Diese Zahlen zeigen: Die Abriegelung der europäischen Grenzen verhindert nicht die Immigration, sondern veranlasst die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge nur nach neuen und noch gefährlicheren Wegen zu suchen, um dem Elend und Hoffnungslosigkeit in ihrer Heimat zu entkommen.

Vor diesem Hintergrund muten die Worte auf einer offiziellen Homepage der EU-Ratspräsidentschaft geradezu zynisch an:

«Ein weiterer wichtiger Beitrag zur Bekämpfung illegaler Migration ist die konsequente Rückführung ausreisepflichtiger Drittstaats-angehöriger. Wir können damit ein deutliches Zeichen setzen, dass unerlaubte Einreisen nicht zu einem Bleiberecht in Europa führen. Dies wird auch dazu beitragen, Drittstaatsangehörige von den zum Teil lebensgefährlichen Versuchen, nach Europa zu gelangen, bereits im Vorfeld abzuhalten (…)»

Auch die Schweiz beteiligt sich an den europäischen Massnahmen, da es um eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes geht, muss die Schweiz mitmachen, andernfalls könnte die EU die Beendigung der Schengen- und Dublin-Assoziierungsabkom-men veranlassen… Der Bundesrat schreibt, dass diese Masssnahmen ein wichtiges Instrument für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und den Kampf gegen die illegale Einwanderung darstellen sollen.

Der Versuch, repressive Massnahmen gegen MigrantInnen als Massnahmen zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit zu le-gitimieren, ist nicht neu. Schon im Monat nach dem 11. September 2001 hatte die NATO mit Operationen im Mittelmeer begon-nen. Offiziell geht es dabei um den Kampf gegen den Terrorismus. Faktisch steht die Kontrolle der zivilen Schifffahrt auf den internationalen Gewässern im Zentrum – und damit die Verhinderung der illegalen Einreise nach Europa.

Diese Welle der Aufrüstung im Rahmen des so genannten «Kriegs gegen den Terror» ist verheerend, gerade für Entwicklungsländer. Die weltweiten Ausgaben für Militär und Rüstung übersteigen die Marke von einer Billion US-Dollar.

Mit ihren Kriegsmaterial-Exporten bestärkt auch die Schweiz die Regimes vieler Länder in ihrer falschen Prioritätensetzung: So werden z.B. Waffen in den Oman geliefert – ein Land, das mehr für die Armee ausgibt als für Bildung und Gesundheit zusammen!

Bereits in den letzten Jahren hat sich die Schweiz aber auch mit ihrer angeblich engagierten Friedens- und Menschenrechtspolitik auf internationaler Ebene profiliert. Sichtbare Resultate konnten bereits erzielt werden: UNO-Menschenrechtsrat, Friedensprozesse in Nepal, in Indonesien/Aceh und in Südsudan. Diese Erfolge sol-len die humanitäre Tradition und die Politik der Guten Dienste fortsetzen und massgeblich zu einem guten Image der Schweiz beitragen.

Man hört heute aber auch oft die Einschätzung, die Friedensfrage sei heute doch höchstens noch zweit- oder drittrangig. Ähnliches konnte wahrgenommen werden, als von verschiedensten Seite mit Unverständnis auf die Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU reagiert wurde.

Man muss zugeben, dass die Mobilisierung der Friedensbewegung heute geringer ist als in den sechziger Jahren. Die Gewaltfrage stellt sich heute aber nicht weniger dringend, wenn auch völlig anders als damals im Kalten Krieg: denken wir an die Gewalt und das Flüchtlingselend in Syrien; den brüchigen Waffenstillstand zwischen der israelischen Regierung und der Hamas in Gaza; oder an die unerfüllten Hoffnungen des arabischen Frühlings – nicht zu reden vom opferreichen Bürgerkrieg im Ostkongo, der uns nicht gleichgültig sein darf, und die noch zahlreicheren Opfer von privatisierter Gewalt,.

Es geht dabei nicht allein um scheinbar fernliegende Regionen. Auch innerhalb Europas hat das marktradikale Prinzip, wie es Erhard Eppler nennt, eine sozial derart zerstörerische Kraft entfaltet, dass wir nicht mehr sicher sein können, ob der europäische Inte-grationsprozess und damit das Friedenswerk Europa wirklich unumkehrbar sind.

So wie der Leitspruch der frühen Friedensbewegung „Krieg dem Krieg“ eine mutige Parole war, als Nationalismus und Chauvinismus um sich griffen, sind wir auch heute wieder gefordert, tragfähige Friedensvisionen zu entwickeln.

So   denke ich, dass folgende drei Elemente wegleitend sind:

  • Wir stehen für die internationale Zusammenarbeit ein und lehnen jede Form des Nationalismus ab. Es ist oft nicht einfach, den nationalen Egoismen die Unverzichtbarkeit der internationalen Solidarität entgegenzusetzen.
  • Ebenso klar ist, dass es keinen Frieden ohne soziale Gerechtigkeit gibt. Eine blindwütige Sparpolitik in Europa gefährdet nicht allein den sozialen Zusammenhang, sondern letztlich auch die Friedensfähigkeit. Ebenso wird es in Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten keinen Frieden ohne Perspektive auf Demokratie und soziale Entwicklung geben.
  • Letztlich geht es uns darum, dass sowohl innerhalb einzelner Staaten als auch auf europäischer und globaler Ebene Politik und Recht das Sagen haben und nicht ein entfesselter Marktradikalismus. Es ist deshalb nicht allein eine soziale, sondern gleichzeitig eine friedenspolitische Tragödie, wenn die Europäische Union, dem wichtigsten Motor der europäischen Integration, gleichzeitig für die sozial zerstörerische Durchsetzung der Sparpolitik ein-steht. Umso wichtiger ist es, dass wir auch in der Schweiz nicht aufhören, die soziale Frage nicht nur national, sondern auch international stellen und fortfahren, die EU-Beitrittsfrage mit dem Kampf für ein soziales Europa zu verbinden.

Denn es gibt kein Frieden ohne soziale Gerechtigkeit!

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Koordination:

Frieder Fahrbach | Lindau | bfwfahrbach(at)aol.com

 

 

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